Die komplette Wg von oben bis unten, bis in den letzten Winkel zu säubern, fördert so einiges zu Tage. Der verschwundene Schöpflöffel, einen Sandwichmaker und eine unversehrte Tüte Gummibärchen zum Beispiel. Allerdings aber auch eine geschimmelte Zwiebel, eine Unterhose die niemandem gehört und Staub. Gefühlt hatten wir so viel Staub, dass man ihn glatt als weiteren Mitbewohner zählen konnte. Von Jennifer Krutzke.
Mit den ersten Sonnenstrahlen, die seit einigen Wochen durch die nicht ganz so durchsichtigen Fenster strahlten und auch den letzten Winkel in der Wohnung ausleuchteten, offenbarten sich Ecken, die scheinbar noch nie einen Lappen gesehen hatten. Anstatt dass die Gläser elegant in der Sonne glitzerten zeigte sich ein grauer Pelz, der alles umgab. Die Palme im Flur glich einem Dschungel und die Blume auf dem Balkon konnte man im Dickicht ihrer verwelkten Blätter nicht mehr als solche erkennen.
Motivation ist Alles
„Putzen ist besser als jede Therapie“ und „Wer richtig putzt braucht keinen Sport mehr zu machen“, pflegte meine Großmutter immer zu sagen. Eigentlich hatte sie schon recht damit. 15 Minuten Fenster putzen verbraucht genauso viel Kalorien wie zehn Minuten joggen und fünf Minuten eine hartnäckige Verunreinigung bekämpfen brennt genauso in den Armen wie Gewichte heben. Außerdem fühlt sich auch der Kopf nach dem Säubern und Aufräumen eines Zimmers wie frisch gewischt an. Gedanken können wieder viel sortierter fließen.
Genau mit diesen Argumenten versuchte ich vor einer Weile meine Mitbewohner_innen davon zu überzeugen, dass eine vernünftige Grundreinigung der Wohnung von oben bis unten eine gute Sache wäre. Trotzdem wurde ich nur mit hochgezogenen Augenbrauen und wenig Verständnis im Gesicht schweigsam angestarrt. Es gibt ja schließlich einen Putzplan. In einer Tabelle wird säuberlich eingetragen wer wann das Bad bzw. die Küche oder die Böden gereinigt hat. Auch der Müll wird regelmäßig runtergebracht und die Pflanzen werden gegossen.
Richtig geputzt?!
Doch wenn wir mal ehrlich sind, so wirklich alles putzt doch keiner zu 100 Prozent. Da ist immer dieses Schränkchen, das übersehen wird oder dieser Spalt unter der Küchenzeile, wo sich bestimmt ein Monster versteckt hält.
Ich argumentierte weiter. Meine Mitbewohnerin zu überzeugen war nicht schwer, aber die Jungs nahmen das Staubmonster weiterhin nicht ernst. Erst mit Verlockungen wie Pizza und dass sie DJ spielen durften gelang es uns Mädels auch die werten Herren dazu zu bringen den Besen zu schwingen.
Schatzsuche
Einen Sonntagmittag schrubbten, wischten und bürsteten wir also jeden Fleck, den die Aktion zu Tage förderte. Schränke wurden ausgeräumt, ausgewischt, ausgemistet und wieder eingeräumt. Auch das Ofeninnere und die Mikrowelle durften Bekanntschaft mit einem Lappen machen. Als besonders interessant gestaltete sich das Aufräumen der Abstellkammer. Neben drei Ikeataschen voller Glasmüll und einer Kartoffelplantage entdeckten wir alte gefüllte Schachteln und Tupperdosen. Sie zu öffnen fühlte sich an wie die Bergung eines alten Schatzes. Leider waren außer zwei 10 Cent-Münzen nur Kronkorken und Zigarettenstümmel drinnen.
Ein Highlight der Schatzsuche stellten Eisförmchen dar, die sofort ihren Dienst antreten durften und gefüllt mit Saft und Milch in den frisch gewienerten Kühlschrank wanderten.
Vor allem eine mysteriöse Unterhose die wir hinter einem Regal in der Abstellkammer fanden lieferte jede Menge Stoff für Spekulationen. War bei der letzten Wg-Party etwas passiert, das wir nicht mitbekommen hatten und der Besitzer war in seiner Not ohne das gute Stück geflüchtet? Oder hatte eine unser Vorgängerinnen einen Lover, der spontan türmen musste als der eigentliche Freund vor der Tür stand? Oder war ein Zeitreisender zwischendurch in unserer kleinen Kammer gelandet und musste rasch einen Kostümwechsel durchführen, bevor es von der römischen Spätantike weiterging ins Mittelalter?
Erinnerungen
Stunden später lagen wir alle platt und müde auf dem im Licht der Abendsonne glänzenden Holzboden und lachten immer noch. Das Unkraut in den Zimmerpflanzen war gejätet und die Gläser schimmerten wie kleine Diamanten. Auch besagtes Schränkchen zeigte sich wieder von seiner schönsten Seite. Pizzakrusten lagen im Karton (nach der ganzen Reinigung wollte keiner mehr Abwasch produzieren) und wir philosophierten über die Funde des Tages. Wem gehörten wohl die Gummibärchen, welche wir gerade verspeisten (bevor hier wer Igitt schreit, laut Haltbarkeitsdatum waren sie noch gut) und wie war der Schöpflöffel bei den Tassen im Schrank gelandet? Wer war für den Kaffeefleck hinter dem Kühlschrank verantwortlich und wem verdankten wir den Sandwichmaker? Diese geschichtslosen Erinnerungen von vorherigen Gesichtern die in diesen Räumen gewohnt und sie mit Leben gefüllt hatten. Die Lieblingstasse die vergessen und nie mehr abgeholt wurde, die liegengebliebene Creme im Bad oder die Blumen auf dem Balkon, die scheinbar schon immer da waren.
Was wohl bleibt, wenn wir eines Tages ausziehen? Wer wohl unsere vergessenen Gegenstände findet und sich fragt welche Geschichten sie bergen?
Nachtrag: Ungefähr eine Woche nach dem die Bude auf Hochglanz poliert worden war, sah es genauso aus wie davor. Was aber bleibt ist die Erinnerung.