Franziska Melzer ist festengagierte Schauspielerin am Potsdamer Hans-Otto-Theater. Denis Newiak hat sich mit ihr unterhalten über Glück und Fleiß hinter den Theaterkulissen, den Glanz des Schauspielberufs und das Rätsel leerer Zuschauersäle.
speakUP: Wenn sich ein Mensch für BWL oder Physik an der Uni einschreibt, zählt in der Regel der NC. An einer Kunsthochschule läuft das ein bisschen anders, oder?
Melzer: Ja, absolut. Es fängt schonmal damit an, dass du dich nicht einschreibst – sondern bewerben musst. Eineinhalb Jahre bin ich getourt und habe mich an so gut wie allen deutschsprachigen Schauspielschulen beworben. Als es dann immer wieder nicht geklappt hat, kam langsam die Verzweiflung: Die „Ernst Busch“ zum Beispiel hat mich drei Mal eingeladen – und dann doch nicht genommen, das ist nervenaufreibend. Bis es an der UdK in Berlin geklappt hat, dauerte es eben, also habe ich solange nebenher Germanistik und Theaterwissenschaft studiert.
speakUP: Wie läuft dann im Groben so ein Vorsprechen an der Schauspielschule ab?
Melzer: Es sind meistens drei Rollen, zum Beispiel Ausschnitte von Monologen, Gedichten und vielleicht ein Lied, aus verschiedenen Epochen oder etwas nach freier Wahl. Manchmal wird auch gefordert, selbst eine eigene Szene auszuarbeiten. Danach heißt es dann entweder, „Kommen Sie wieder!“ – oder eben nicht. An der UdK beispielsweise ging die letzte von insgesamt drei Runden über zwei Tage von morgens bis abends. Leichtgemacht hat es sich die Jury auf keinen jeden Fall.
speakUP: Du wusstest schon mit vier Jahren, dass du Schauspielerin werden willst – und hast damit einen schweren Weg gewählt. Hattest du manchmal Angst, das eigene Ziel nicht erreichen zu können?
Melzer: Als es mit den ganzen Bewerbungen nicht geklappt hat, war das schon ziemlich schrecklich. Und nach dem Studium hatte ich total Angst, dass ich kein Engagement bekomme. Von einigen meiner ehemaligen Kommiliton_innen weiß ich, dass sie es irgendwie geschafft haben, andere aber machen nach dem Studium noch eine Yoga-Ausbildung oder sowas, um sich über Wasser halten zu können. Es gibt eben einfach zu viele Schauspieler_innen, da ist die Zukunft unsicher.
speakUP: Das klingt auch so, als wäre in der Branche viel von der Gunst anderer Leute und vom Glück abhängig.
Melzer: Das mag sein, ein_e Schauspieler_in ist wirklich sehr abhängig davon, zu gefallen, etwa der Regie oder dem Publikum. Aber ich versuche mich davon frei zu machen und suche mir meine Gestaltungsräume. Wenn ich ständig mit dem Bewusstsein meiner Abhängigkeit leben und arbeiten müsste, würde ich verrückt werden. Aber natürlich ist das nicht alles, zum erfolgreichen Schauspiel gehört viel mehr als Glück. Zum Beispiel bin ich auch sehr fleißig, da hängt viel von ab.
speakUP: Ist es auch nur Fleiß, wenn du es schaffst, endlose Texte auswendig zu lernen und auf der Bühne noch gleichzeitig zu tanzen, zu singen und zu spielen?
Melzer: Ich muss es sagen, wie es ist: Mir fällt das einfach leicht. Das ist aber völlig unterschiedlich: Ich kenne Kolleg_innen, für die das harte Arbeit ist, die das aufsprechen und jeden Abend abhören müssen. Doch auch wenn ich keine großen Textprobleme habe, bereite ich mich trotzdem auf jede Vorstellung sehr ausgiebig vor. Es ist also beides – ein bisschen Begabung und viel Disziplin.
speakUP: Du hast einst in einem Interview gesagt, du seist Schauspielerin geworden, um „Prinzessin“ zu sein.
Melzer: (lacht) Das stimmt, aber was in dem Artikel nicht stand: Es bezog sich auf „My Fair Lady“, wo ich im Glitzerkleid als Ballkönigin über die Bühne tanzen darf. Und nur darauf. Aber klar: Der Beruf hat einen gewissen Glanz.
speakUP: Deine Rollen haben aber oft wenig Glanz, in der Regel spielst du vom Leben gebeutelte und geschrammte Frauen mit zu viel Lebenserfahrung. Fällt es da abends schwer, einfach wieder Franziska zu sein?
Melzer: Während meiner ersten Spielzeit bin ich jeden zweiten Abend gestorben, hatte üble Krankheiten und mir wurde mehrfach pro Abend das Herz gebrochen. Das ist natürlich nicht einfach, wenn du so viel Lebenszeit in traurigen Situationen verbringt. Depressiv bin ich abends deswegen aber nicht, denn ich nehme mir auch die Zeit, wieder „runterzukommen“.
speakUP: In einem anderen Interview meintest du, du stündest für die Phantasie auf der Bühne, nicht für den Beifall. Im HOT musst du manchmal vor vierzig Leuten spielen. Fällt einem der leere Zuschauersaal von der Bühne aus auf oder könntest du auch ohne Publikum schauspielen?
Melzer: (lacht) Ohne Publikum… Nein, natürlich fällt einem das auf! Bei einer Komödie zum Beispiel ist das total bescheuert. Die macht nur Sinn, wenn Menschen da sind, die lachen und sich freuen. Wenn aber in der Reithalle bei einem ernsteren Stück vierzig Leute sitzen und du an den Gesichtern erkennen kannst, dass es den Leuten etwas bedeutet, dann spüre ich das auch. Ohne Publikum geht es natürlich nicht, dann ist Theater sinnlos.
speakUP: Als 23jähriger ziehe ich in der Regel den Altersschnitt des Publikums im HOT um gefühlte 20 Jahre runter, vor allem bei den „ernsteren“ Stücken. Beim „Nackten Wahnsinn“ hingegen gehörte ich schon fast zum alten Kaliber…
Melzer: Ja, das ist das große Rätsel! Wir wundern uns und wundern uns! „Der Nackte Wahnsinn“ ist ja für ein älteres Publikum gemacht – doch stattdessen rennen uns die Schulklassen die Türen ein. Auch mit den Musicals wollen wir eigentlich mehr diejenigen abdecken, die sonst von „zu viel Blut“ auf der Bühne verschreckt werden, stattdessen kommen die jungen Leute. Bei Schiller hingegen zeigt sich schon jetzt im Vorkauf, dass die Schulen da viel weniger Interesse haben, obwohl „Don Carlos“ auf dem Lehrplan steht. An anderen Theatern ist es wieder völlig anders…
speakUP: Ihr scheint euch da eine Menge Gedanken zu machen.
Melzer: Na klar. Zum Glück ist es ja im Vergleich zum ersten Jahr viel besser geworden. Unser Intendant muss sich ja ständig rechtfertigen, wenn die Zahlen nicht stimmen. Es geht uns darum, Kunst zu machen, die Diskussionen anregt und die Lebensumstände von heute reflektiert, und die Menschen zu unterhalten. Es geht nur beides in Kombination. Wenn ich da aber an Sprüche im Gästebuch wie „My Fair Lady, das war klasse – mehr davon, dann stimmt die Kasse!“ denke, stößt es mir ganz übel auf. Diese Frage nach dem Nutzen und der Nützlichkeit von Kunst ist einfach so kurzgegriffen, so kapitalistisch durchdrungen! Oh weh! Derjenige, der das so flott ins Buch geschrieben hat, ist sich wahrscheinlich gar nicht im Klaren darüber, wie tief das ist – was das über ihn aussagt.
speakUP: Was würdest du selbst gern mal auf die Bühne bringen?
Melzer: „Orlando“ von Virgina Woolf, das wäre die ultimative Rolle für mich! Es ist einfach das schönste Buch, sehr poetisch, voller Geheimnisse und – Herausforderungen. Das würde mich sehr reizen.
speakUP: Uns auch. Danke für das Gespräch!
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