Was setzt Studierende unter so enormen Druck, dass dabei nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch die Freude am Studium und die eigene Gesundheit auf der Strecke bleiben? Ein Essay über Leistungsdruck und das beruhigende Gefühl, dass die Mitstudierenden auch nicht perfekt sind. Von Angelina Schüler
In seinem Gedicht „Immer“ beschrieb es der Dichter Robert Gernhardt folgendermaßen: „Einer immer begabter als du / Du liest / Er lernt / Du lernst / Er forscht / Du forschst / Er findet: / Einer immer noch begabter.“ Natürlich gibt es Überflieger und Begabte, die ihr Studium in Regelstudienzeit und mit Bestnoten abschließen. Der Durchschnitt jedoch hängt ein bis zwei Semester dran, kassiert ab und zu eine eher schlechte Note oder gar ein „Nicht bestanden“, sitzt jedes zweite Wochenende beim Supermarkt an der Kasse und lässt auch mal eine Vorlesung sausen. Das wäre alles in Ordnung, wenn man sich nicht dauernd mit anderen vergleichen würde. Mit dem Blick auf die Anderen beginnen unsere Probleme: Ich bin nicht gut, nicht schnell, nicht außergewöhnlich genug.
Bereits die Wahl des Wortes Leistungspunkte zeigt den ergebnisorientierten Charakter, der die Universität prägt. Man gibt sich zu schnell der Illusion hin, man könne seine Leistung mit der der Kommiliton_innen messen und sich dann besser fühlen. Der Sozialpsychologe Leon Festinger formulierte 1954 in einem Aufsatz die Theorie des sozialen Vergleichs, welche besagt, dass sich Menschen, je nach Bedarf und Situation, mit ihren Mitmenschen vergleichen – entweder mit Gleichgestellten, mit Unter- oder Überlegenen. Im universitären Umfeld schauen wir größtenteils auf die alten Hasen und Profis. Diejenigen, die einen guten Job am Lehrstuhl haben, nebenbei noch drei Standardwerke lesen, bereits im vierten Semester ein ausgefallenes Thema für die Bachelorarbeit finden und gleich die Einleitung beginnen, selbstsicher über den Campus laufen und mit allen Dozent_innen per Du sind. Dabei vergessen wir allzu oft eine sehr wichtige Tatsache: die Wahrheit. Bei keinem läuft es perfekt und auch die professionell wirkenden Fünftsemester haben mal klein angefangen. Spätestens beim ersten Aufladen der PUCK ist man als Ersti an seine Grenzen gestoßen. Und auch das hochgelobte Besondere ist eben keine zwingende Voraussetzung für einen erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben. Wir zwingen uns permanent dazu, aus der Masse hervorzustechen und vergessen dabei allzu oft, dass Studierende Menschen und Menschen soziale Wesen sind.
Für Festinger ist das Vergleichen eine ganz normale menschliche Angewohnheit, die durchaus auch positiv zu bewerten ist, wenn man sich bewusst wird, dass es dafür keinerlei objektive Maßstäbe gibt. Besser also, man befreit sich – soweit möglich – von allem Druck und vergleicht sich mit der einzig wichtigen Instanz: sich selbst zu einem früheren Zeitpunkt. Ein Blick auf die Ergebnisse und Erfahrungen, die man in den letzten Semestern erreicht und gewonnen haben, können einen so manche schlechte Note und die zu Unrecht überheblichen Mitstudierenden vergessen lassen. Wenn man beispielsweise keine verzweifelten Mail mehr an den Fachschaftsrat abschicken muss, weil man mit PULS endlich zurechtkommt, oder die Füße automatisch den Weg zur Mensa finden, oder das Ausleihsystem der Bibliothek keine Hürde mehr darstellt und man auf dem Campus sogar die versteckten Drucker gefunden hat. Und im Endeffekt haben es auch die Begabten nicht leicht, denn geht es nach Robert Gernhardt, ist auch dort einer immer noch begabter.