„Wie weit bist du eigentlich?“, fragte neulich ein Ü40er beim Mittagessen in der Mensa. „Im Master“, so meine kurze Antwort. Ob ich mich gut vorbereitet auf das Lehrersein fühle, wurde ich noch gefragt. Es gehe ja schließlich bald „los“. Daran will ich lieber gar nicht denken. Ein persönlicher Gast-Kommentar von Marius Busch.
Gehen wir ein paar Tage zurück. Zurück zum Beginn des Studiums. Ungeachtet dessen, welche Motive einen auch bewegt haben mögen, diesen – naja, sagen wir vorsichtig „umstrittenen“ – Beruf auszuüben, führt der Weg eines jeden Lehramts-Studierenden unweigerlich über den der Universität. Diesen nimmt man gemeinsam mit vielen anderen Student_innen. Vielen vielen anderen. Und alle sitzen sie gemeinsam in den Vorlesungen und Seminaren und studieren zusammen. Aber nicht Lehramt, wie man nun meinen könnte – nein. Egal, ob du Lehrer_in für Geschichte oder Englisch werden möchtest oder diese Fächer einfach nur so studieren und abwarten willst, was man damit alles machen kann – alle sitzen in einem Boot.
Und manche davon rudern sogar. Jedoch selten auf die richtige Insel zu, denn die Fahrtrichtung geben Dozent_innen und Uni vor. Irgendwann dann, nach höchstens drei Semestern, gibt man das Rudern auf und treibt einfach mit dem Strom weiter. Und kommt sogar an. Allerdings nicht auf der Insel „Lehrerland“, sondern auf Fachaii. Der Terminus „Lehrerbildung“ wurde einem schon längst auf hoher See bei Wellengang von der tosenden Gischt aus dem Kopf gespült. Aber anscheinend nicht nur den studierenden Rudermännern und –frauen. Zu stark war der Zwang zu rudern, doch dabei wurde eins völlig aus den Augen verloren: die Richtung. „Wo wollten wir eigentlich hin?“, hört man einige fragen. Stille und Ratlosigkeit auf Fachaii.
Wofür ist man eigentlich bisher gerudert? Ich behaupte, dass es keine_n Schüler_in beeindruckt, wenn man ihm die 20 selbst verfassten wissenschaftlichen Abhandlungen in die Hände gibt. Ich behaupte, dass es keine_n Schüler_in beeindruckt, wenn man ihm 90 Minuten lang einen Vortrag über die Entwicklung des deutschen Städtewesens in der Frühen Neuzeit hält. Ich behaupte: Wir sind nicht auf die Schule vorbereitet. Und es muss Kritik erlaubt sein. Wann, wenn nicht jetzt?
Allzu oft verlieren sich Kommilitonen in pseudowissenschaftlichen Diskussionen und vergessen abermals, weshalb sie eigentlich hier sind: Sie wollten einmal Lehrer_in werden. Doch was wurde dafür bisher getan? Wir sind vielleicht Anglist_innen, Germanist_innen und Physiker_innen – aber Lehrer_innen? Die Methodenvermittlung und didaktischen Handreichungen sind bestenfalls ein schlechter Scherz. Manch einer fühlt sich im Stich gelassen, denn es wurden einem viel zu wenig Handlungskompetenzen und –muster vermittelt, mithilfe derer man überhaupt erst ansatzweise in der Lage wäre, seinen Teig an Fachidiotie in Klassenzimmern auszurollen, um daraus dann irgendwann einmal kleine, schmackhafte Backwaren zu produzieren. Schließlich sollen die eigenen Schüler doch satt werden und sich davon ernähren, um später selbst mal Brötchen backen zu können.
Aber genug der Bilder. Wo wollen wir eigentlich hin? Wie reagiere ich, wenn Schüler_innen rebellieren und verweigern? Wie reagiere ich, wenn Kinder mit Förderschwerpunkt im sozial-emotionalen Bereich in der Klasse rauben und brandschatzen? Wie integriere ich körperlich oder geistig benachteiligte Kinder? Wie vermittle ich pubertierenden 7.-Klässler_innen im Geschichtsunterricht das Mittelalter anschaulich und mache ihm die enorme Relevanz von schulischer Bildung deutlich, wo doch plötzlich alles andere viel interessanter erscheint?
Anstatt in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften über die Realität und den Schulalltag zu reden, werden wir über Empirische Forschungsmethoden, statistische Erhebungsverfahren und Kants Aufruf zur Mündigkeit aufgeklärt. Und ich kann aufrichtig sagen, dieser Kampf macht mich allmählich müde. Er macht mich genauso müde wie ewig andauernde Monologe in Seminaren, in denen sich keine_r der Teilnehmer_innen wiederzufinden scheint. Von wem soll ich das ansprechende Gestalten von Unterrichtsstunden lernen, wenn nicht vom Dozent_innen, die über Lehrerbildung referieren? Wann kommt die Praxis, wenn man sie mal braucht? Wir haben genug gehört vom gedächtnisgesteuerten Lernen und der Schultheorie. Wann erlebe ich die Realität? Wenn alle Messen gesungen und das Studium abgeschlossen ist? Das kann und darf nicht die Antwort sein.
Es war in so mancher Sitzung ein für mich erschütterndes Bild, blickte man in die Runde. Gesenkte Häupter, leere Gesichter und kollektives Desinteresse. Inhalte sind oftmals so theoretisch und verwissenschaftlicht, dass einem die Sinnhaftigkeit des momentanen Geschehens nicht deutlich wird. Es bedrückt mich zu wissen, dass all dies die letzten Grundlagen für das spätere Berufsleben sein sollen, es jedoch nichts mit der Realität und der Praxis gemein hat. Doch daran ließe sich etwas ändern, denn es sind von Menschenhand gemachte Strukturen und Verhältnisse, die auch durch eben jene wieder angepasst werden könnten. Man ist viel zu weit weg gerückt vom Mysterium ‚Schule’ und weiß noch gar nicht, was es heißt, Lehrer_in zu werden. Geschweige denn, Lehrer_in zu sein. Vermutlich haben das selbst unsere Dozent_innen vergessen. Ob ich mich ausreichend vorbereitet fühle?