Es war einmal in einer Wüstennacht

Vor 20 Jahren scheiterten die Dreharbeiten zu „Dark Blood“. Nach jahrzehntelanger Reise durch allerlei Hände wird das Material doch noch zu einem fertigen Film. Nun erscheint er erstmals auch im Programm deutscher Kinos. Zum Ende der Odyssee eines besonderen Films. Eine Filmkritik von Dario Planert.

In der Nacht zum 31. Oktober 1993 erreicht die Belegschaft des Cedars Sinai Medical Center, Los Angeles, ein Notruf. Vor einem Nachtclub ist ein junger Mann zusammengebrochen und zeigt keinerlei Reaktion auf Wiederbelebungsversuche. Ob er noch atme? Könne man nicht sagen. Ursache? Vermutlich eine Überdosis. Die kurze Zeit später eingetroffenen Rettungskräfte bringen den Bewusstlosen ins Krankenhaus, wo er in den frühen Morgenstunden verstirbt.

Ein Film wird zum Vermächtnis

Mit dem Tode River Phoenix‘ beginnt die ungewöhnliche Produktionsgeschichte von „Dark Blood“ zum zweiten Mal. Der junge Schauspieler, zum Zeitpunkt seines Todes gerade einmal 23 Jahre alt, war vor kurzem aus der Wüste Utahs zurückgekehrt, wo er für die Dreharbeiten des Filmes geweilt hatte. Diese circa sechs Wochen, laut Hauptdarsteller Jonathan Pryce die härtesten seines Lebens, waren nach Konflikten mit den Geldgebern vorläufig zum Erliegen gekommen. Mit Phoenix Tod schien „Dark Blood“ nun endgültig zu einem „Lost Movie“ geworden, der in der Folge zu einer Art mystischem Vermächtnis des Schauspielers beschworen wurde. Im Jahr 2012 dann jedoch eine unerwartete Wendung: Auf Youtube erscheint ein Interview mit Regisseur George Sluizer. Darin rekapituliert der Wahl-Amsterdamer die Entstehungsgeschichte des Films, seinen Kampf um dessen Vollendung und seine Beziehung zu Phoenix. Anfang 2012 hatte der Regisseur eine Crowdfunding-Initiative ins Leben gerufen, mit deren Hilfe es ihm tatsächlich gelungen war, das irrwitzige Projekt abzuschließen. Und so debütierte „Dark Blood“, beinahe 20 Jahre nach Abbruch der Dreharbeiten und jahrelangen Verhandlungen Sluizers mit Versicherungen und Banken um die Rettung des Filmmaterials, auf dem Niederländischen Filmfestival. Im Interview sagte Sluizer noch von sich selbst, im Laufe der Jahre weiser geworden zu sein und seine Gesundheit nicht mehr waghalsig für seine Obsession, die Filmkunst, auf Spiel setzen zu wollen. Für „Dark Blood“ hat er es am Ende ein letztes Mal getan. Er stirbt 2014 82-jährig. Der Film wird zum Vermächtnis seines Regisseurs und Hauptdarstellers zugleich. 

Einsamkeit, Wahnsinn und Eifersucht

In „Dark Blood“ kreuzen sich die Wege von Boy (River Phoenix), dem Nachfahren eines depressiven Hopi, von dem er das titelgebende „dunkle Blut“ geerbt haben will, und des flamboyanten Schauspieler-Paares Harry (Jonathan Pryce) und Buffy (Judy Davis), die ihrer Ehe bei einem Roadtrip durch den Mittleren Westen eine zweite Chance geben wollen. Als die beiden die letzten Ausläufer der Zivilisation hinter sich gelassen haben, scheinen sich vor dem monotonen Hintergrund der Wüste die Umrisse ihrer Krise zu verschärfen. Im Moment, da ihnen ihr Bentley im Wüstensand den Gehorsam kündigt, ist es Buffy, die alleine in die Nacht aufbricht um nach zweideutiger Rettung zu suchen. Die findet sie in den Armen des jungen Boy. Der wiederum hat es sich als Eremit auf einem Felsen eingerichtet, nachdem seine Frau an den Folgen einer Plutoniumvergiftung starb. Denn das  Land, das sie umgibt, ist durch Atomtests verseucht. Seither erwartet Boy in seiner selbstgezimmerten Hütte das Ende allen Seins. Nebenbei bastelt er an allerlei Nippes. Zum Beispiel an dem Glockenspiel, mit dem er tief dröhnende Klänge („The Sound of Death“) in die Wüstennächte schickt. Dass Boys Gemütszustand unserer Vorstellung von geistiger Gesundheit nicht zur Gänze entspricht wird den Protagonisten mit der Zeit bewusst. Allerdings zu spät. Unterdessen entwickelt sich ein Kammerspiel der Eifersucht, das sich Stück für Stück zu einem Thriller auswächst.

Die Wüste als stille Hauptdarstellerin

George Sluizers Versuch die fehlenden Sequenzen durch kurze Kommentare aus dem Off zu überbrücken ist der denkbar simpelste und schöpft nicht einmal die technischen Möglichkeiten des Jahres 1993 aus. Doch erstaunlicherweise erweist er sich als äußerst effektiv. Die vier oder fünf „Löcher“ im Filmmaterial (bei Abbruch der Dreharbeiten waren etwa 80% des Drehbuches abgefilmt), die so geflickt werden, hätten durch ihre explizite „Action“ wohl die träumerisch-fließende Grundatmosphäre des Films gestört. Auch sonst sind Erzähltempo und Spannungsaufbau von „Dark Blood“ eine Abwechslung zu zeitgenössischen Vertretern des Genres. Es gibt keine Jump-Scares, keine Gewaltdarstellung an der Schwelle zur Verherrlichung oder die Nasenhaare spaltenden Streichersymphonien, die jeden Höhepunkt zur Kreischorgie mutieren lassen. Im Gegenteil wartet der Film mit einer weiteren, stillen Hauptdarstellerin auf, der Wüstenlandschaft Utahs. Ihre verschlungenen Canyons, ihr erdfremdes Profil und ihre atemberaubenden Sternennächte sind trotz einer nahe an den Schauspielern operierenden Kamera immer Teil des Geschehens, wenn nicht sogar dessen Katalysator. Kongenial zu den Bildern funktioniert der sparsame Soundtrack von Florencia di Castilio, deren mediterrane, manchmal nahöstlich wirkenden Klänge viel mehr die Leere der Wüste auszufüllen scheinen, als dass sie Akzente in der Handlung setzen.

Aus der Zeit gefallen

Ob es tatsächlich notwendig war, die Opfer amerikanischer Ureinwohner in den Kontext des Filmes einzubinden, ist eine andere Frage. Eine Debatte, die an dieser Stelle ohnehin 20 Jahre zu spät angesetzt wäre. Wer jedenfalls zu Beginn des Filmes den Unterschied zwischen einem „Hopi“ und anderen ethnischen Minderheiten der Region nicht kannte, der wird anderthalb Stunden später nicht schlauer sein. Und auch die nuklear verseuchten Geisterdörfer der Ureinwohner zerfließen durch den ein- oder anderen Kalenderspruch („The white man has poisened this land, we cursed it“) eher zu B-Movie-Romantik als zur mündigen Anklage. Die Gesellschaftskritik, oder welche Intention den Verantwortlichen auch immer durch den Kopf gegangen sein mag, verpufft im luftleeren Raum. Das ist schlimmstenfalls nervig. Den Charme von „Dark Blood“ zerstört es nicht. Wer mit dem Wissen über dessen Entstehungsgeschichte in den Film geht, den erwartet angesichts dieses aus der Zeit gefallenen Werkes eine gewisse Melancholie. „Ein Stuhl, der“, wie George Sluizer in seinem Vorwort betont, „nur drei Beine hat, und trotzdem steht“.

„Dark Blood“ läuft noch einige Wochen in ausgewählten Berliner Kinos, darunter:

fsk – Kino am Oranienplatz, Kreuzberg

Lichtblick-Kino, Prenzlauer Berg

Wolf Kino, Neukölln 

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