Wir brauchen den langen Atem

Im ersten Interview mit den speakUP-Redakteur_innen Mandy Joachim und Paul Köppen spricht der neugewählte Uni-Präsident Prof. Oliver Günther, Ph.D. über seine Entscheidung für Potsdam, die aktuelle Situation unserer Universität und die besonderen Herausforderungen seiner Amtszeit – für die er sich viel vorgenommen hat.

speakUP: Herr Günther, wie man hört, gab es für Sie durchaus auch andere berufliche Perspektiven und Möglichkeiten. Warum haben Sie sich dennoch für Potsdam entschieden?

Günther:Ich hatte in der Tat in der Vergangenheit als Professor der Humboldt-Universität immer wieder Optionen, auch woanders hinzugehen, bin aber stets in Berlin geblieben. Dass ich jetzt nach 18 Jahren nach Potsdam gewechselt bin, hat mehrere Gründe. Natürlich hat mich die Aufgabe, eine so junge und dynamische Universität zu leiten, sehr gereizt. Die Uni ist gut aufgestellt und hat sich seit ihrer Gründung sehr positiv entwickelt. Gleichwohl gibt es hier einige sehr spezielle Herausforderungen, insbesondere finanzieller Art, wenn wir uns zur Aufgabe machen wollen, die Universität nicht nur im guten Mittelfeld zu halten, sondern weiter nach oben zu entwickeln.

speakUP: In der Politik bilanziert man ja gerne nach den ersten 100 Tagen. Auch Sie sind jetzt beinahe drei Monate im Amt. Wie sieht dementsprechend Ihre erste Bilanz aus? Wie war Ihr Start in Potsdam?

Günther: Die ersten Eindrücke haben eigentlich meine Erwartungen bestätigt. Ich hatte mich vor meinem Wechsel sehr detailliert informiert – deshalb gab es jetzt auch keine wirklichen Überraschungen. Die Frage der Ausfinanzierung nicht nur der Universität Potsdam, sondern der brandenburgischen Hochschulen insgesamt ist natürlich heikel; das war mir aber klar. Folglich habe ich bereits sehr intensive Gespräche in den entsprechenden Ministerien geführt. Diese sind bisher konstruktiv verlaufen, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt. Uni-intern wurde ich sehr herzlich aufgenommen, es gab viele anregende Diskussionen mit den Studierenden und den Kolleginnen und Kollegen. Ich lege großen Wert auf solche persönlichen Gespräche.

speakUP: Wo sehen Sie in den nächsten Monaten den größten Handlungsbedarf?

Günther: Die zentrale Herausforderung ist momentan die Verhandlung mit der Landesregierung über die mittelfristige Finanzplanung. Wir sind der Ansicht, dass es für ein Land wie Brandenburg nicht klug ist, im bundesweiten Vergleich den geringsten Haushalts-Anteil für Bildung aufzuwenden. Natürlich hat Brandenburg nicht viel Geld, aber muss ich dann auch mit dem Prozentsatz ganz unten liegen? Das ist sehr problematisch. Mir ist zudem daran gelegen, das Image der Uni Potsdam in der Öffentlichkeit zu stärken. An dieser Stelle haben wir einen gewissen Nachholbedarf, viele in Deutschland wissen nicht, was wir hier machen. Das muss sich ändern. Deshalb muss es unser Ziel sein, mit noch mehr Qualität auf uns aufmerksam zu machen.

speakUP: Wie ist es denn zurzeit bestellt um die Qualität von Forschung und Lehre? Wo sehen sie Probleme?

Günther: Für den Bereich der Forschung werden wir versuchen, noch mehr DFG-Strukturprogramme zu realisieren: Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs und so weiter. Wir wollen auch Professoren gezielt bei den Antragsstellungen dafür unterstützen. Im Bereich der Lehre versuchen wir momentan vor allem die Problematik der Rückmeldungen von Alt-Studierenden zu lösen. Wir führen hier weiterhin Gespräche mit dem AStA und sind, so denke ich, auf einem guten Weg. Es wird darauf ankommen, in persönlichen Beratungen herauszufinden, inwieweit es im Einzelfall Sinn macht, den Magister- oder Diplomstudiengang zu Ende zu bringen, oder ob es vielleicht besser wäre, in ein Bachelorstudium zu wechseln. Mitunter muss man wohl auch eruieren, ob nicht ein Studienabbruch sinnvoller wäre, weil das ganze Studienprojekt bereits obsolet geworden ist. Es ist ja kein Geheimnis, dass es Studierende gibt in Potsdam, die zwar eingeschrieben sind, aber de facto nicht studieren. Das muss einfach geklärt werden.

speakUP: Wollen Sie in Ihrer Amtszeit denn etwas konkret anders machen als Ihre Vorgänger?

Günther:Zunächst ist festzustellen, dass von meinen Vorgänger_innen gute Arbeit geleistet worden ist. Ein etwas anderer Akzent wird sein, dass wir uns bezüglich der Ausfinanzierung der Studienplätze höhere Ziele setzen werden. Brandenburg gibt etwa 5000 Euro pro Jahr pro Student_in aus. Das ist viel zu wenig. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 7000 oder 8000. In der Vergangenheit gab es ja eine Tendenz, möglichst viele Studierende zuzulassen, allerdings ohne auf die Gegenfinanzierung zu achten. Das werden wir nicht mehr tun. Hier muss es eine Verschiebung geben: Wenn sich die Finanzierung nicht verbessert, werden wir mittelfristig sogar Studienplätze abbauen. Ich will keine Discount-Studienplätze etablieren in Potsdam.

speakUP: ‚Discount-Studienplätze‘ könnte aber vielleicht schon jetzt ein guter Begriff sein für die Studiensituation vieler Studierender: Überfüllte Seminare, Klausuren auf dem Fußboden schreiben, Lehrkräfte-Mangel – gerade in den Geisteswissenschaften ist das ja bereits Realität. Wie wollen Sie hier Abhilfe schaffen?

Günther: Als Präsident möchte ich mich natürlich um alle Fachdisziplinen bemühen. Was Sie jetzt gerade beschrieben haben, ist letztlich eine Folge der Tatsache, dass Brandenburg sich im Wesentlichen in das Marktsegment Discount-Studienplätze begeben hat. Die Konsequenz ist das, was Sie sehen. Wenn wir 7000 Euro pro Student_in pro Jahr zur Verfügung hätten – wie zum Beispiel in Berlin –, könnten wir ganz anders verfahren. Wir könnten die Lehraufträge angemessen vergüten, was überfällig ist; wir könnten überhaupt mehr und bessere Lehre anbieten. Dass sich die Unterfinanzierung nun unterschiedlich auf die Fachrichtungen verteilt, liegt nicht an unserer Steuerung, sondern an der generellen Nachfrage. Die ist in den Geisteswissenschaften nun mal sehr hoch, in manchen anderen Fächern hingegen gibt es weniger Bewerber_innen als Studienplätze. Das setzt sich direkt um in die Studiensituation. Wir werden hier wohl mit numeri clausi reagieren müssen, weil wir künftig nicht mehr so viele Studierende aufnehmen können, sollte es keine entsprechende Gegenfinanzierung geben.

speakUP: Der Fokus bei einer solchen Studienplatz-Reduzierung läge dann also auf den geisteswissenschaftlichen Disziplinen oder gebe es eine allgemeine Verteilung über Fakultätsgrenzen hinweg?

Günther: Was das angeht, bin ich vielleicht doch auch Wirtschaftswissenschaftler. Wenn ich sehe, dass Nachfrage nach einem Studiengang besteht und Nachfrage nach Absolventen, dann gibt es keinen Grund, Zulassungszahlen herunterzufahren. Der Arbeitsmarkt ist jedoch ein wichtiger Indikator. Ein glückliche_r Absolvent_in ist, wer einen Arbeitsplatz findet und einen Beitrag für das Wohl der Gesellschaft leisten kann. Das Leben in prekären Arbeitsverhältnissen zu fristen, kann nicht das Ziel sein. Wer nach fünf Jahren zu dem Schluss kommt, er oder sie hätte lieber etwas anderes studieren sollen, um einen Job zu finden, kann nicht zufrieden sein. Arbeitslosigkeit ist eines der größten Unglücke heutzutage. Und wenn es einen Bereich gibt, wo Tausende von Absolvent_innen produziert werden, die von Gelegenheitsjobs leben müssen, dann ist das keine gute Allokation von Steuergeldern. Generell will ich die Studierendenzahl aber auf dem Niveau der letzten Jahre halten. Ich teile jedoch nicht die Meinung der Landesregierung, dass diese Plätze bereits ausfinanziert sind. Im Gegenteil. Die Entwicklungen der letzten Jahre, in denen immer mehr Studierende nach Brandenburg kamen, aber die Finanzmittel im Wesentlichen konstant geblieben sind, waren dramatisch.

speakUP: Solche Überlegungen haben ja auch zur Gründung der Brandenburgischen Hochschulkonferenz geführt. Welche Ziele und Erwartungen haben Sie an dieses Projekt?

Günther:Wichtigster Zweck der Hochschulkonferenz ist Kommunikation. Wir wollen zeigen, warum Hochschulen wichtig sind für ein Land wie Brandenburg und warum die bisherige Unterfinanzierung allen Beteiligten schadet. Wir müssen auf breiter Basis nach außen kommunizieren, dass es uns hier nicht um goldene Wasserhähne geht, sondern um ein Ende der Discount-Studienplätze. Damit wollen wir die zuständigen Ministerien genauso erreichen wie alle anderen. Auch der Agrar-Politiker und letztlich jede_r Steuerzahler_in soll verstehen, warum Brandenburg langfristig gute Hochschulen braucht und warum das Geld kostet – und zwar pro Bewerberplatz genauso viel Geld wie zum Beispiel in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern. Das muss die breite Öffentlichkeit erfahren. Für alle wollen wir ein Gesprächspartner sein.

speakUP: In den Ministerien erklären, wofür Universitäten gut sein könnten – macht ein Gespräch hier überhaupt Sinn, wenn das erst erklärt werden muss?

Günther: Das ist eher ein Kampf um Aufmerksamkeit wie in jeder Lobby-Arbeit. Wir müssen unsere Prioritäten erklären und damit in die Köpfe der Leute kommen. Brandenburg wird ohne gute Hochschulen absteigen, das müssen wir argumentieren. Auch die demographische Entwicklung kann kein Argument gegen eine höhere Bildungs-Finanzierung sein, sondern dafür. Wir müssen attraktiver werden, um dann junge Leute von außen nach Brandenburg zu locken.

speakUP: Es gibt landesweit nicht wenige, die glauben, kooperative Kommunikation sei längst unmöglich geworden zwischen Politik und Bildungsinstitutionen. Sie sind da optimistischer?

Günther: Für die Hochschulkonferenz haben wir uns bewusst auf die Betonung unserer Gesprächsbereitschaft festgelegt. Das war Programm, weil wir glauben, dass dies der produktivste Weg ist. Ich persönlich bin bezüglich der Mittel, die wir einsetzen, völlig pragmatisch, solange sie legal sind. Wenn ich der Ansicht wäre – was ich aber nicht bin –, gemeinsame Demonstrationszüge seien sinnvoller als die Hochschulkonferenz, hätte ich das auch gemacht. Wir brauchen jedoch eher einen langen Atem. Um langfristig vom letzten Platz wegzukommen und Entwicklungsperspektiven zu schaffen, setze ich auf Dialog. Das hat nichts mit Konfrontation-Scheu zu tun. Die Partnerschaft zur Landesregierung ist einfach eine Conditio sine qua non. Wir müssen hier Schritt für Schritt die Entscheidungsträger_innen überzeugen, dass Investitionen in die Hochschulen sich lohnen.

speakUP: … Das klingt nach Sisyphusarbeit…

Günther: Natürlich wäre es mir lieber, ein solcher Überzeugungsprozess ginge schneller. Aber wir brauchen den langen Atem. Auch meine sechsjährige Amtszeit ist eigentlich keine hinreichend langfristige Perspektive, wir müssen uns für 10 bis 15 Jahre überlegen, was passieren soll. Um hinsichtlich der Ausfinanzierung von Studienplätzen ins Mittelfeld zu kommen, bräuchten wir 50 Millionen Euro mehr pro Jahr. Das entspräche einer Steigerung von 20 Prozent. Jedes Jahr ein Prozent – und dann könnten wir es in knapp 20 Jahren schaffen. Wie gesagt, wir brauchen den langen Atem. Das ist der beste Weg zum Ziel.

speakUP: Ein langer Weg. Wie wird die Uni denn nach Ihrer Amtszeit aussehen?

Günther: Wäre ich nicht optimistisch, hätte ich den Job gar nicht erst angetreten. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, den Bürger_innen Brandenburgs die Zukunftsbedeutung der Hochschulen klarzumachen. Gleiches gilt für die Umsetzung unseres Zieles hinsichtlich der Normalfinanzierung der Studienplätze. Und ich glaube auch, dass wir die gute Qualität von Lehre und Forschung in Potsdam halten und in bestimmten Bereichen sogar verbessern können. Die Bedingungen dafür müssen geschaffen werden. Dafür arbeiten wir. Das bedeutet nicht status quo, das bedeutet mehr, als uns momentan von der Politik ermöglicht wird.

speakUP: Vielen Dank für das Gespräch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert