Die Lizenz zum Töten? – TERROR im Hans Otto Theater

164 gegen 70 000 – wie entscheiden wir uns, wenn der Ernstfall eintritt? Der Anwalt und Schriftsteller Ferdinand von Schirach entwirft mit seinem Theaterstück TERROR eine Situation, die leider schon Realität ist. Von Angelina Schüler.

Lars Koch ist angeklagt. 164 Menschen sind tot. Sie saßen in einem Flugzeug, das von einem Terroristen übernommen und von dem jungen Kampfpiloten abgeschossen wurde. Damit hat er den Plan vereitelt, das Flugzeug in die vollbesetzte Allianz-Arena in München zu lenken. 70 000 Menschen wurden gerettet. Trotzdem soll Lars Koch verurteilt werden. Denn er hat selbstständig gehandelt. Entgegen dem ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten. Dieses Szenario ist der Ausgangspunkt des Theaterstückes TERROR von Ferdinand von Schirach, welches im Potsdamer Hans Otto Theater seit Oktober letzten Jahres läuft. Es ist der Einblick in diese Gerichtsverhandlung, die das Publikum selbst mit einbezieht. Jede_r einzelne ist Schöffe bei dem Verfahren gegen den jungen Offizier Lars Koch. Ausgehend von dem höchst umstrittenen Luftsicherheitsgesetz, das im Januar 2005 in Kraft getreten und wenige Jahre später vom Bundesverfassungsgericht geprüft und als nichtig erklärt wurde, wird der Abschuss der Passagiermaschine durch den Bundeswehrpiloten rekonstruiert. Wer hat wo versagt? Warum wurde das Stadion nicht evakuiert? Warum hat die Verteidigungsministerin gezögert? Und durfte Lars Koch überhaupt entscheiden?

Was ist denn jetzt genau passiert?

Das Stück in der Regie von Andreas Rehschuh ist kein Gemälde in Schwarz und Weiß. Es wägt gekonnt die Argumente ab, entfaltet im Spielverlauf den eigentlichen Tathergang und die Geschichten der Opfer. Als Nebenklägerin wird die Frau eines der Passagiere des Flugzeugs verhört. Abwesend und gelähmt erzählt sie von der letzten SMS ihres Mannes. Sie steht exemplarisch für die Unverständnis aller Hinterbliebenen, doch gleichzeitig trägt sie zur eigentlichen Beweisaufnahme einen sehr geringen Teil bei. Interessanter ist da schon der Zeuge Christian Lauterbach, seines Zeichens Vorgesetzter des Angeklagten. Zwischen unbedingtem Gehorsam und moralischer Verpflichtung hergerissen zeigt er die tiefen Gräben, die zwischen juristischen Urteilen und menschlichem Ermessen liegt. Das neue Gesicht am Hans Otto Theater, Jonas Götzinger, der den Offizier Lars Koch spielt, liefert mit seiner Darbietung ein glänzendes Debut. Beinahe abwesend lässt er die Gerichtsverhandlung über sich ergehen und zeigt dem Publikum, was es heißt, gleichzeitig richtig und falsch zu handeln.

„Recht und Moral müssen streng voneinander getrennt werden.“

Ein terroristischer Anschlag in Deutschland ist nicht mehr unmöglich und war es wahrscheinlich nie. Eine eingreifende Sicherheitspolitik greift eben auch in die privaten Belange der Bürger_innen ein. Hier kommt das Grundgesetz ins Spiel, welches die Menschenwürde im Ernstfall als noch höheres Gut ansieht, als die staatliche Selbstbehauptung gegen terroristische Angriffe. Somit kann erst eingegriffen werden, wenn schon etwas passiert ist. Verrückt, oder? Genau so verrückt ist die Frage, ab wann ein Menschenleben mehr zählt, als ein anderes. Oder wer entscheiden darf, was mehr wiegt. Das Verteidigungsministerium, so wie es das Luftsicherheitsgesetz vorsah? Oder die ausführenden Pilot_innen, die ja dann nicht nur die Entscheidung, sondern auch die jahrelange Bürde tragen müssen, getötet zu haben – egal warum. Das Gedankenexperiment wird seit Oktober in zahlreichen Städten aufgeführt – in Deutschland, Österreich, Schweiz, Dänemark, Slowenien, Venezuela, Amerika, Japan und Israel. In 60 Prozent der Fälle hat sich am Ende das Publikum – mithilfe des „Hammelsprungs“ – für einen Freispruch entschieden. Und spätestens auf dem Heimweg lange diskutiert.

Wie würdet ihr euch entscheiden? TERROR läuft im Hans Otto Theater wieder am 11. Februar, 23. Februar, 5. März und 24. März, jeweils um 19.30 Uhr.

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