Schneeweiße Gleise: In 30 Stunden mit dem Zug nach Moskau

Ich bin Studentin der Slavistik. Mit Russland hatte ich bis zu meiner Reise nach Moskau im vergangenen März nichts am Hut. Zu meiner eigenen Überraschung verirrte ich mich in einen polternden Zug, statt Billigairline. Der brachte mich an mein Ziel. Und auch ein Stück näher an die russische Seele. Von Laura Grillo.

Cafeteria, Campus Am Neuen Palais in Potsdam. Vier Student_innen der Slavistik. Vier mal schwarzer Kaffee und ein Traum. Die romantische Vorstellung hatte sich in unseren Köpfen eingenistet. Mit dem Zug nach Moskau, eine mehrtägige Reise auf Schienen durch die eisige Kälte, ein Abteil mit  Babuschkas teilen und schwarzen Tee (черный чай) trinken. Durch das Fenster des Schlafwaggons husche die weite Landschaft vorbei und man schrieb, zig Zigaretten rauchend, seitenweise Tagebuch. Nun ja, ich glaube die Vorstellungen variierten, aber gepackt von der Idee waren wir alle gleichermaßen. Es war im Winter 2013, unsere einmonatige Studienreise in die Hauptstadt Russlands stand noch bevor und es galt Visa, Hin- und Rückreise und Organisatorisches zu klären. Für gewöhnlich ist der Flug Berlin – Moskau die beste Wahl. Die beste Wahl, wenn es der oder die Reisende auf eine zweckdienliche Variante absieht. Die Zugfahrt lockte uns mit der Möglichkeit, eine ganz neue Erfahrung zu machen. Viel teurer würde es auch nicht werden, so nahmen wir an. Also ging es noch am selben Tag daran, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

Noch 73 Tage

Ein kalter Tag im Monat Dezember. Ich sitze in meinem Bett, esse Reiswaffeln und mache mich erstmals im Internet schlau. Seit Dezember 2011 wird nach 17 Jahren die durchgehende Verbindung Paris – Berlin – Moskau wieder angeboten. Der Zug fährt insgesamt 3100 Kilometer in 38 Stunden durch fünf Länder. Ich erfahre, dass die Buchung ab siebzig Tage vor Reisebeginn möglich ist. Empfohlen wird, sich direkt am Informationsschalter der Deutschen Bahn eine Auskunft über verfügbare Tickets  einzuholen.

Früher Abend, sechs Uhr.Meine Freund_innen Lisa, Kilian, Kristina und ich fahren zum Potsdamer Hauptbahnhof. Wir lassen uns am Schalter beraten. Tatsächlich geht alles ganz schnell. Wir erstehen je ein Ticket zum Preis von 120 Euro und erhalten damit Restplätze, die sich nicht im selbem Abteil, geschweige denn demselben Schlafwagon befinden. Die Unterbringung kann in Dreibett-, Zweibett- und Einbettabteilen erfolgen. Wir, als bescheidene Student_innen, sind mit dem günstigen Dreibettabteil mehr als zufrieden und mit den Tickets in den Taschen steigt die Vorfreude auf die anstehende Reise im März.

Noch 56 Tage
Ein Freitag im neuen Jahr. Weihnachten und Silvester habe ich ohne soziales Burnout überstanden. Erstmal den Kopf neu ordnen. Da war doch was. Russischunterricht, Uni, muss mich wieder in die Sprache finden. Die Begeisterung ist schnell neu entflammt, ich setze mich auf den Hosenboden und schreibe eine To do-Liste. Das Internet ist mir wieder ein guter Freund und berät mich. Für die Einreise in die Russische Föderation ist ein gültiges Visum erforderlich, das in einer Konsularvertretung der Russischen Föderation rechtzeitig beantragt werden muss. Soweit wusste ich zu dem Zeitpunkt,  Bescheid und hatte bereit ein Visum für Russland beantragt.

Nun wird noch ein weiterer Visumantrag fällig, denn wir durchqueren auf unserer Reise  Weißrussland. Belarus verlangt von Durchreisenden ein Transitvisum, das eigens beim Weißrussischen Konsulat in Berlin beantragt werden kann. Meine Freunde haben sich natürlich auch schon informiert. Wir bequatschen die Formalia und sammeln in den folgenden Tagen alle erforderlichen Unterlagen zusammen. Das wären also der Original-Reisepass (keine Passkopien), der bis mindestens 6 Monate über das Ende der Reise hinaus gültig sein muss, ein ausgedruckter und persönlich unterschriebener Visumantrag, ein Passbild und eine „Einladung“. Diese haben wir  per Mail vom Puschkininstitut erhalten, an dem wir unser Sprachstudium während der dreißig Tage Aufenthalt in Moskau intensiv fortzusetzen planen. Tourist_innen wenden sich an einen Reiseveranstalter, der sich dann um die sogenannte „Einladung“ kümmert. Abschließend muss ein Krankenversicherungsnachweis vorgelegt werden. Meistens ist es, wie in meinem Fall, nötig, eine zusätzliche Reiseversicherung abzuschließen. Im Normalfall ist das mit einem Anruf bei der Krankenkasse und zehn bis fünfzehn Euro zusätzlicher Zahlungsleistung abgehakt. Wer, wie ich, auch noch keinen Reisepass besitzt, muss dafür nochmal vierzig bis fünfzig Euro Ausgaben und vier bis sechs Wochen Antragszeit einplanen. Wenn also all diese Unterlagen vorliegen, sollte dem Visum nichts im Weg stehen.

Noch 30 Tage

Es ist Samstag und ausschlafen ist heute nicht drin.
Gemeinsam mit meinen Freund_innen, fahre ich zur Konsularvertretung Belarus in Berlin. Nicht leicht zu finden und dramatisch eingezäunt, das kleine Häuschen. Dort lässt uns ein Uniformierter mit gebügeltem Haar und strenger Miene nach kurzer Wartezeit eintreten, immer nur zwei zur gleichen Zeit. Drin geht es gar nicht so streng zu. Ein Italiener, der vor mir dran ist, flirtet mit der Angestellten und versucht gestikulierend zu verhandeln. Irgendetwas an seinen Papieren entspricht wohl nicht der Norm. Dann bin ich dran und alles geht ganz fix. Ich zahle zwanzig Euro, gebe ein paar Unterschriften und bekomme einen Abholschein, der mich befähigt meinen Reisepass in sieben Tagen wieder abzuholen. Die zwanzig Euro, die wir zusätzlich zu dem Preis des Visums für Moskau zum Preis von circa sechzig Euro zahlen, rechne ich zu den Kosten für die Hinreise mit dem Zug. Bei einem Flug fallen diese Kosten selbstverständlich nicht an.

Fazit

Die Vorkehrungen sollten in dieser Reihenfolge getroffen werden: Antrag und Abholung des Reisepasses, Abschluss der Reiseversicherung, Visum beantragen. Das sind ein paar der wichtigsten Punkte auf der To do-Liste eines jeden, der nach Russland einreisen möchte. Alles sollte weit im Voraus geplant und vorbereitet werden, da immer eine gewisse Bearbeitungszeit bei Amt, Kasse und Konsulat zu erwarten ist.

Dann kommt, was immer zu einer Reise dazugehört. Beispielsweise die Suche nach einem Zwischenmieter und Tante Rosi von Nebenan zu bitten nach der Katze zu schauen oder alle drei Tage die Yukka-Palme zu gießen.

Noch 22 Stunden

Der letzte Tag im Februar 2014. Der Februar ist bekanntlich kurz. Plötzlich erscheint er mir zu kurz. Habe mich schon von Freund_innen und Co. verabschiedet, drei mal tief durchgeatmet, den Reiserucksack vom Schrank geholt und, mal wieder, eine Liste geschrieben. Beim Reisegepäck sei zu beachten, dass die Schlafwagenabteile nicht mit achtzig sondern eher zwei Quadratmetern aufwarten. Diese werden dann noch durch drei geteilt und dementsprechend sollte das Gepäck nicht zu sperrig sein. Alles Nötige und Unnötige für einen Monat Moskau passt locker in einen großen Backpack. Geld, Reisepass und Ausweiskopien stecke ich in eine schmale Bauchtasche. Buch, Schreibutensilien, Zeichenblock, Laptop, Trinkflasche (wichtig! Während der Zugreise wird sich keine frische Quelle auftun) und Knäckebrot werden in einer mittelgroßen Handttasche verstaut. Faustregel für studentenfreundliche Kosteneinsparung: Schmier‘ Butterbrote und verzichte auf überteuerte Zugrestaurantspeisen. Die Taschen stehen im Flur. Morgen wird mich Lisa mit einem breiten Grinsen und lautstarken „привет“ (privet) begrüßen. Wir werden Kristina und Kilian in Berlin treffen. Morgen, in noch weniger als 24 Stunden.

Der 01. März 2014, Abfahrt um 21:03 Uhr, Gleis 7, Hauptbahnhof Berlin.

Der Zug kommt pünktlich. Am Bahngleis steigt ein mulmiges Gefühl in mir hoch. Wir machen Fotos und lachen viel, es herrscht eine aufgeregte Stimmung, die Luft ist geladen. Ich kann mich nicht recht an den Gedanken gewöhnen, dass mich dieser Zug nach Russland bringen wird. Auf unserer Reise werden wir an den Stationen Frankfurt(Oder), Rzepin, Poznan, Warszawa Centralna, Warszawa Wschodnia, Lukow, Terespol, Brest Central, Minsk(BY), Orscha Central,  Smolensk, Wjasma und zuletzt Moskva Belorusskaja Halt machen. Diese Informationen kann man im Zug nirgendwo entnehmen, wir haben uns den Plan im Vorhinein ausgedruckt. Sowieso fällt zunächst und auch im Laufe der Fahrt auf, dass man ohne Kenntnisse des Kyrillischen und der russischen Sprache aufgeschmissen wäre. Also, wenn eine Reise nach Russland geplant ist, empfehle ich absolut, vorher an einem Sprachkurs teilzunehmen. Des Weiteren gilt bei der russischen Eisenbahn überall die Moskauer Zeit (MZ). Davon unterscheiden sich die Ortszeiten zum Teil um einige Stunden. Auswirkungen hat dies auch im Kaliningrader Gebiet. Die Ortszeit ist hier die Osteuropäische Zeit (OEZ) = 1 Stunde zurück zur Moskauer Zeit (z. B. OEZ=11:30 Uhr, MZ=12:30 Uhr). Eine weitere Überraschung ist die Aufteilung der Schlafwagons, je nach Strecke. Auf unserer Strecke Deutschland – GUS, ist die korrekte Angabe des Geschlechtes als Passagier_in Pflicht und die Plätze in den Waggons wurden nach Geschlechtern aufgeteilt. Auf der Rückstrecke GUS-Deutschland findet diese Trennung jedoch nicht statt und männliche und weibliche Reisende werden gemeinsam in einem Schlafwagenabteil untergebracht. Für die Einhaltung der einschlägigen Pass-, Zoll- und Visavorschriften ist der Reisende selbst verantwortlich. Wenn also an der Pass- und Visakontrolle, der ruppige Beamte in aggressivem Ton und lautem Russisch, die Tourist_innen aus dem Bett wirft und nach den Ausweispapieren verlangt, sollte alles gut vorbereitet sein. Sonst wird’ s ungemütlich.

Der zweite März, zur Mittagszeit.

Wir haben trotz aller Sprachbarrieren und Überraschungen die Passkontrolle überstanden. Jetzt steht die Eisenbahn in einer großen Bahnhofshalle. An unserer Eisenbahn wird eine sogenannte Umspurung vorgenommen, das heißt, die Waggons werden von dem vorherigen Eisenbahnnetz ins Russische verbracht, da dessen Spurweite sich in der Breite unterscheidet. Dabei bleiben die Passagiere in den Waggons. Es ist schön, den jungen Männern bei ihrer Arbeit zuzusehen. Sie haben Kippenstummel in den Mundwinkeln und warmer Atem verhüllt ihrer Gesichter. Zu uns gesellt sich mal dieser und mal jener Mitfahrer, raucht eine Zigarette und man wechselt ein paar Worte. Aber keiner scheint von der Umspurung gleichermaßen begeistert zu sein. Sind alles alte Hasen. Als es uns zu kalt wird, legen wir uns auf unsere Pritschen und dösen. Ich teile mir das Zimmer mit Lisa und einer alten, russischen Dame der ich meist nur ein gutgemeintes Lächeln zuwerfe. Unsere Kommunikation beschränkt sich auf Доброе утро (Guten Morgen) und Спасибo (Dankeschön). Unsere Reise setzt sich fort, durch kahle Landschaften, an Holzhütten-Wohnsiedlungen und stillgelegten Fabrikanlagen vorbei. Man kann die Kälte förmlich durchs Fenster spüren, es schneit auch. Zwei Damen aus dem Wagon, in dem Kristina untergebracht ist, steigen aus. Nett seien sie gewesen. Wir stapeln uns zu viert in das, uns jetzt zu Verfügung stehende, Schlafwagenabteil. Die Stimmung ist zwiegespalten. Aufregung mischt sich mit einem Anflug von Unwohlsein. Die russischen Beamt_innen und Zugpassagier_innen reden meist schnell auf uns ein. Wir geben ihnen zu verstehen, dass wir ihnen nicht folgen können. Aber das scheint auch nicht ihr Anliegen zu sein. Ich glaube ihre Schroffheit soll uns nur fürs Erste in die Schranken weisen. Nicht, dass jemand aufmüpfig oder ungemütlich wird. Es geht ein bisschen ums Revier markieren. Schnell merke ich, dass der raue Umgangston wohl nicht zu umgehen ist. Aber wenn man den Damen und Herren dann mit Respekt (und nicht Angst) begegnet, kommt es vor, dass sie sich erweichen lassen. Wenn das passiert, kann man ganz wunderbare, herzliche Menschen erleben.

Abend, 9 Uhr.

Nachts werden wir in Moskau ankommen. Wir liegen auf unseren Pritschen. Kristina hat schon zehn Zentner Schokolade gegessen und bei jedem weiteren Riegel hört man sie stöhnen. Mein Magen knurrt ein bisschen. Während der Zugfahrt gab es nicht die Möglichkeit, auszusteigen und einen Snack zu kaufen. Dafür haben uns an der Grenzstation ein paar Babuschkas mit Essen in Plastiktüten besucht. Sie haben uns angeschrien (ich übertreibe vielleicht, muss meine Wahrnehmung noch auf russisch umstellen), wir sollten ihre gefüllten Pfannkuchenrollen kaufen. Diese typischen Häppchen,  genannt Blini, waren in Papier gepackt, in Supermarkttüten gestapelt und sahen wenig vertrauenserweckend aus. Kilian erstand trotzdem welche. Alles gut, bis auf den Preis. Es gab auch gekochte Kartoffeln und russische Pickelgurken. Die Auswahl hatte mich zur Frühstückszeit nicht überzeugt und ich habe abgelehnt (ungefähr zehn mal).Was ich nun bereue. Hätt‘ ich der Dame doch ein paar Kartoffeln abgekauft.

Ankunft

Schwarze Nacht. Vereinzelt Häuser. Es werden mehr. Sie werden größer. Straßen, Lichter, Stadtgepolter. „In einer halben Stunde sind wir da“, höre ich mich nach einem Blick auf die Uhr sagen. Schnell raffen wir die Sachen in dem uns eigentlich nicht bestimmten Wagen zusammen, gehen durch die vielen, engen Gänge zurück zu unseren Betten und holen unser Gepäck. Dann bleiben doch noch zehn Minuten gespannten Wartens.Der Zug hält. Wir steigen aus und finden uns am Bahnsteig wieder.

 

Es ist der 03. März, kurz nach Mitternacht in Moskau (Москва). Ich atme die kalte Luft und die Ungewissheit dieser überwältigenden Stadt ein, halte kurz inne, drehe mich um die eigene Achse und sehe den Freund_innen beim Rumalbern zu. Die Eisenbahn stößt noch ein paar lange Seufzer aus und liegt bald schlafend im Schienennetz – bevor es für sie weitergeht.

 

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