Keiner hat gesagt, dass Demokratie einfach wäre

Vor eineinhalb Jahren versuchte die Piratenpartei die Software ,,Liquid Feedback” an der Universität Potsdam zu etablieren – mit ernüchternder Bilanz. Geschaffen, um neue Wege studentischer Mitbestimmung zu ermöglichen, bleiben die Nutzer_innen-Zahlen gering und die Initiator_innen optimistisch. Fehlt es der Universität Potsdam an engagierten Studierenden oder fehlt es den Studierenden an Möglichkeiten zur Partizipation? Von Clara Billen.

,,Es muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden”, meint Justus Pilgrim. Der Potsdamer Pirat sitzt im Café Bohne am Standort Griebnitzsee und kennt die Fakten: Geringe Wahlbeteiligung bei Wahlen für das Studierendenparlament (StuPa) und wenige Studierende, die Hochschulpolitik aktiv mitgestalten wollen. Um dies zu ändern, hat die Piratenpartei vor eineinhalb Jahren die Online-Plattform ,,Liquid Feedback” an der Universität Potsdam eingerichtet – eine Software, mit der die studentische Mitbestimmung fern von Gremien und Ausschüssen realisiert werden soll.

Als die Hochschulpiraten 2010 mit zwei Mandaten im StuPa vertreten waren, wollten sie Elemente der ,,Liquid Democracy” in die verfasste Studierendenschaft einbringen. ,,Liquid”, also fließend, soll dabei der Übergang zwischen direkter und repräsentativer Demokratie sein. Neben gewählten Repräsentant_innen wird mit Hilfe des Internets die Möglichkeit geschaffen, jederzeit über bestimmte Themen selbst zu diskutieren und abzustimmen. Hierzu wurde die Plattform ,,Liquid Feedback” konzipiert. Via Internet besteht so für angemeldete Nutzer_innen die Möglichkeit, Anträge des StuPa’s zu bewerten und eigene Ideen einzubringen. Ein Modell, das besonders nach Protesten wie um den Bahnhof „Stuttgart 21” attraktiv erscheint und dem Ruf nach mehr direkter Demokratie folgt. Die zentrale Forderung dahinter lautet: „Viel mehr direkte Mitbestimmung ohne dabei das Repräsentativitätsprinzip aufzugeben”, erklärt Justus Pilgrim.

Dieses Modell ist auch hochschulpolitisch sinnvoll, meinen die Piraten und erhalten Unterstützung von der Grün-Alternative Liste (GAL). Björn Ruberg, Mitglied der GAL, hält es für eine „durchaus interessante Idee“. Die Studierenden bekämen so die Möglichkeit, bei Themen, die sie persönlich interessieren und zu denen sie eine Meinung haben, ihre Stimme kundzutun – ohne sich über Jahre hinweg in politischen Hochschulgruppen und Ausschüssen engagieren zu müssen.

Angenommen wurde „Liquid Democracy“ dennoch nicht. Die Nutzer_innen-Zahlen sind gering – nur circa 100 Studierende sind derzeit registriert. Erklärungen für die ernüchternde Bilanz halten sowohl Piraten als auch GAL bereit. Die Software sei für viele Studierende „vielleicht noch zu kompliziert“, gesteht der Pirat Justus Pilgrim ein und fügt hinzu: „Aber es hat ja keiner gesagt, dass Demokratie einfach wäre“. Hinzu käme, so Pilgrim, dass den Studierenden durch die Bachelor- und Masterstudiengänge schlichtweg die Zeit fehlen würde, sich mit Hochschulpolitik zu beschäftigen – und genau diese Auseinandersetzung fordert „Liquid Feedback“. Ein Lösungsvorschlag der Piraten: Jeder Studierende bekommt im ersten Semester Zugangsdaten für die Software. Die Beteiligung kann so nicht schon an der Registrierung scheitern und wäre verbindlicher.

Für die GAL ist das Scheitern von „Liquid Feedback“ eher Symptom einer größeren hochschulpolitischen Krankheit: Desinteresse an Uni- Politik und geringe Macht der Studierendenvertretungen. Denn auch wenn durch „Liquid Feedback“ andere Möglichkeiten zur Mitbestimmung geschaffen würden, meint Ruberg, ändere sich das Grundproblem nicht – die Einflussmöglichkeiten der Mandatsträger_innen bleibe gleich gering. Der Pirat Justus Pilgrim ist bei der Software etwas zuversichtlicher: „Hoffnung? Wenn wie die nicht hätten, würden wir das Ganze nicht machen.“

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