Es ist was faul im Staate Dänemark: Hamlet im Hans Otto Theater

Im Hans Otto Theater fragt sich der dänische Prinz: „Sein oder Nichtsein?“ Hamlet feierte am 30. Januar Premiere in Potsdam. Der viel gespielte Klassiker wird unter der Regie von Alexander Nerlich in eine neue Zeit gesetzt. Von Angelina Schüler.

Im Hause des dänischen Königspaares geschehen nahezu gleichzeitig zwei Tragödien. Zum einen stirbt der König auf mysteriöse Weise, zum anderen feiern dessen Bruder und die Witwe Hochzeit. Hamlet, Prinz von Dänemark, aus Wittenberg angereist zur Beerdigung des Vater, muss jetzt auch noch Zeuge der Vermählung werden. Als ihm dann der Geist seines verstorbenen – ja sogar ermordeten – Vaters erscheint und ihn beschwört, den Frevel zu rächen, wird Hamlet zur agierenden Person dieses Dramas. Auch wenn er anfänglich noch hadert und dem Geist nicht ganz traut, so erkennt Hamlet, dass die Welt aus den Fugen geraten ist.

Alles ist buchstäblich verrückt und so verfällt Hamlet, um den Hof und vor allem das mordende neue Königspaar an der Nase herumzuführen, dem Wahnsinn. Am Ende dieser Geschichte wird dem Freund Hamlets und einzigem Überlebenden, Horatio, die Aufgabe übertragen, von den Geschehnissen zu berichten.

Eine so düstere Geschichte kann freilich nicht mit bunten Bildern und reich verziertem Bühnenbild aufwarten. Im Hans Otto Theater ist es eine Art Fabrikhalle, die zur Umrahmung des kalten Dramas dient. Spärliche Ausstattung, die trotz ihrer Einfachheit nicht an Wirkung verliert, Männer in dunklen Anzügen, ein Geist in Plastik gehüllt und verspiegelte Wandelemente – die Stimmung ist unheimlich und spannend zugleich. Der Geist des gemeuchelten Vaters – glänzend gespielt von Christoph Hohmann – ist fast permanent um Hamlet herum und schlüpft in die Gedanken und Gefühle des Sohnes. Seine Rachegedanken pflanzt er geschickt in Hamlets Herz hinein, der ja eigentlich ein vernünftiger und aufgeklärter junger Mann ist. Das anfängliche Zögern des dänischen Prinzen weicht der Erkenntnis, dass er, Hamlet, erst verrückt werden muss, um diese sinnlose Welt zu bekämpfen.

Alexander Finkenwirth verkörpert den sensiblen, verzweifelten Hamlet ebenso gut wie den obszönen und schließlich tötenden Hamlet. Der Hofstaat, allem vorweg das Königspaar (Wolfgang Vogler und Meike Finck als Claudius und Gertrud) sind sehr klar und distanziert in Szene gesetzt, wenn auch teilweise ihrem Sohn zu ähnlich. Der ebenfalls obszöne und geifernde Hof ist von der Ausnahmeerscheinung Hamlet nicht deutlich genug getrennt, was bald hier bald dort den Eindruck weckt, jeder andere Mensch würde sich ebenso als ausführende Hand des ermordeten Königs eignen. Dabei kann und soll es nur Hamlet sein, der mit der Wahrheit auch den Tod über das Haus Dänemarks bringt.

Das Team um Regisseur Alexander Nerlich liefert eine Glanzleistung ab. In der Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch ist Shakespeares Drama in die heutige Zeit versetzt. Hamlet ist ein Ausgestoßener der Gesellschaft, der sich weigert, mitzumachen und Konform zu gehen. Was für die Einen lästiges Outlaw-Gehabe und nicht normative Verhaltensauffälligkeit bedeutet, kann für die Anderen schon ein Grund zur Verhaftung und Bestrafung sein. Die Welt stellt uns jeden Tag aufs Neue vor die Wahl: Kampf oder Resignation? Und wenn wir uns für den Kampf entscheiden, sind dann alle Mittel recht? Darf Hamlet ein Menschenleben für ein anderes verlangen? Wo ist die Grenze von Vergeltung und Genugtuung?

Die Potsdamer Inszenierung verzichtet neben der langgezogenen Endszene zugunsten eines spektakulären Showkampfes auch auf heuchlerische Phrasen und Moralkeulen. Das Stück stößt ab – vor allem der tragisch-verwirrende Tod Ophelias zeigt den Wahnsinn und die Verzweiflung dieser Welt. Doch es berührt auch und das Publikum vermag den „alten Meister“ Shakespeare einmal mehr zu bewundern, der mit unheimlichem Gespür Charaktere erschuf, die 400 Jahre später aktueller denn je sind. Der Besuch im Hans Otto Theater lohnt sich. Der Klassiker in neuem Gewand spart nicht an Witz, eindrucksvollen Bildern und inszenatorischen Kniffen. Die frivolen Dän_innen um Hamlet feiern ihren blutigen Triumph zurecht.

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